Anstatt uns ausreichend mit Finanzmitteln auszustatten, zwingt man uns zur Bilanzschönung – unsere Haushaltsrede 2023
Sehr geehrte Anwesende,
normalerweise ist es uns wichtig, das Augenmerk in der Haushaltsdebatte auf unser Handeln in Alfter zu richten. Um diesen Haushalt zu verstehen, reicht diese Betrachtung aber nicht aus. Die wirtschaftlichen Verschlechterungen haben wir zum großen Teil nicht selber zu verantworten. Globale Krisen wie die Corona-Pandemie oder der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, aber auch der Klimawandel, wirken auf die Menschen weltweit.
Und das sehen wir in Alfter heute mehr als deutlich in diesem Haushaltsplan. Krieg und Pandemie haben uns seit 2020 mehr als 10 Millionen Euro gekostet. Die Krisen waren nicht vorhersehbar und haben unseren Haushalt aus der Bahn geworfen. Die Folgen sind ein weiteres Haushaltssicherungskonzept und ein deutliches Minus in 2023.
Grotesk ist es, was der Landesregierung NRW zur Situation der Kommunen einfällt: Wir beschließen heute einen Haushalt mit einem Minus von circa 1,6 Millionen Euro, doch das ist noch nicht mal die halbe Wahrheit – sondern nur die Viertelwahrheit. Wir haben nämlich neue gesetzliche Regelungen im Land. Es geht um die sogenannte Isolierung von Kosten aus der COVID-19-Pandemie und des Ukraine-Kriegs. „Isolierung von Kosten“ klingt harmlos, ist es aber nicht. Das Ganze geht so: Wir haben durch Krieg und Corona in diesem Jahr circa fünf Millionen Euro Extrakosten. Dieser Betrag wird einfach durch eine nicht vorhandene Einnahme im Haushalt ausgeglichen, also einer Einnahme, die es nicht gibt und nie geben wird. Dann wird diese Haushaltsposition bis zu 50 Jahre lang abgeschrieben und belastet so über Jahrzehnte kommende Generationen – wohlgemerkt mit dem was wir heute verbrauchen.
Unser wirkliches Minus alleine im Haushaltsjahr 2023 beläuft sich auf 6,6 Millionen, statt auf 1,6 Millionen, also circa das Vierfache. Diese Regelung ist ein gesetzlicher Auftrag zur Bilanzschönung! Sie ist nicht nachhaltig, löst keine Probleme, verschiebt unsere Defizite in die Zukunft und belastet damit künftige Generationen.
Dazu kommt: Das Land NRW verletzt fortwährend das Konnexitätsprinzip. Den Kommunen werden ständig neue Aufgaben übertragen. Für diese Aufgaben müssten wir eigentlich kostendeckend mit Mitteln ausgestattet werden. Wir haben die Kämmerei im Haushalts-Vorgespräch gebeten, uns eine Aufstellung der nicht ausreichend finanzierten Aufgaben zu geben.
Alleine für das Jahr 2023 haben wir hier ein finanzielles Defizit von 3,1 Millionen Euro –
das sind sechs Prozent unseres gesamten Haushaltsvolumens.
Bereitstellung Grundschulen ~ 1,2 Millionen Euro Defizit
Kinder in Tageseinrichtungen ~ 1,5 Millionen Euro Defizit
Weitere kleinere Positionen ~ 0,4 Millionen Euro Defizit
Das bittere Fazit: Anstatt uns ausreichend mit Finanzmitteln auszustatten, zwingt man uns zur Bilanzschönung. Wir haben ein einsturzgefährdetes Haus und kriegen vom Land dafür einen schönen Eimer weißer Farbe!
Es muss jetzt klar werden: Wir dürfen in Alfter die fortwährende Verletzung des Konnexitätsprinzips nicht weiter hinnehmen.
Wir FREIEN WÄHLER Alfter sind der Meinung, dass die Zeit gekommen ist, unsere Rechte einzuklagen. Wir müssen gegenüber dem Land NRW durchsetzen, dass wir auf uns übertragene Aufgaben auch angemessen finanziert bekommen – gerne in einer Klage im Verbund mit unseren Nachbarkommunen.
Alfter hat endlich eine weiterführende Schule! Eine Kommune mit nahezu 25.000 Einwohnern ohne weiterführende Schule – wir meinen, das war unser größtes Infrastrukturdefizit. Seit vier Jahren haben wir nun gemeinsam an der Umsetzung dieser Schule gearbeitet. 2019 beschloss der Rat, das alte Hauptschulgebäude zu sanieren. 2021 beschlossen CDU, GRÜNE, SPD, FREIE WÄHLER Alfter und FDP fraktionsübergreifend, wieder eine weiterführende Schule in Trägerschaft der Gemeinde zu errichten. Der Gründungsbeschluss eines Gymnasiums erfolgte mit den Stimmen aller Fraktionen im Sommer 2022. Dieser Beschluss war notwendig, da in der gesamten Region die Versorgung mit Plätzen an Gymnasien extrem angespannt ist.
Die Stadt Bonn hatte uns dazu geschrieben, Zitat: „Die Bonner Gymnasien können – anders als in den Vorjahren – eine ausreichende Versorgung mit Schulplätzen für Schüler*innen aus Alfter nicht mehr gewährleisten.“ Auch Bornheim hat uns angeschrieben, Zitat : „Durch den stetigen Anstieg der Anzahl von Schülerinnen und Schülern haben die drei weiterführenden Schulen in Bornheim bereits vor Jahren ihre Kapazitätsgrenze erreicht.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Notwendigkeit zur Gründung dieser Schule ist durch die Anmeldezahlen mehr als bestätigt, wir sind vierzügig, die Schule ist voll bis zum Anschlag. Trotzdem haben drei Fraktionen versucht, die Schulgründung zu verhindern, obwohl die Schule laut Bezirksregierung eine kommunale Pflichtaufgabe ist. In der Alfterer Politik stehen aus diesem Umfeld Aussagen im Raum, dass der Beschluss für die Schule unsozial sei, da er zu einer Erhöhung der Grundsteuer führt.
Wir fragen Sie hier jetzt einmal ganzen Ernstes, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen: Wer soll denn bitte für die Kosten des Alfterer Schulbedarfs aufkommen? Finden Sie es sozialer, wenn die erhöhten Hebesätze dann von anderen Steuerzahlern aufgebracht werden müssen? In Bonn, Bornheim, Rheinbach, Meckenheim oder Swisttal? Ist es sozial, mit einer jahrzehntelangen ausufernden Baupolitik viele Menschen hier anzusiedeln, und dann zu sagen, sorry, aber ob es genügend Schulplätze gibt und wo Eure Kinder auf die Schule gehen, dafür fühlen wir uns nicht verantwortlich?
Hier müssen Sie jetzt Farbe bekennen. Sie können nicht sagen, ja wir wollen die Schule – aber wir wollen nichts dafür bezahlen.
Die Entscheidung für die Schule hat wegen der außerordentlich hohen Kosten wohl niemand hier im Rat mit leichtem Herzen gefällt. Wir halten es für gut und richtig, dass es eine Mehrheit im Rat gegeben hat, die schulpolitisch Verantwortung übernommen hat. Hätten die drei Fraktionen es geschafft, den Start zu verhindern, wäre das eine schulpolitische Katastrophe für die Kinder und Eltern in der Region geworden – und ein folgenreicher Gesichtsverlust der Gemeinde Alfter gegenüber den Nachbarkommunen. Seit wenigen Tagen wissen wir, bald wird es noch schwerer, einen Schulplatz zu finden, denn mit der Liebfrauenschule wird ein Gymnasium aus dem Bonner Raum verschwinden.
Trotz des erfolgreichen Schulstarts und der sonst sehr guten Arbeit der Verwaltung möchten wir Kritik am Projektmanagements des Bürgermeisters vorbringen: Die Kostenermittlung für die Schule kam seitens der Verwaltung viel zu spät. Das ist bei einem Projekt dieser Größenordnung unangemessen und nicht verantwortungsvoll. Mit der späten Ermittlung einer realistischen Kostenschätzung hat der Bürgermeister die Gestaltungsspielräume für Rat und Verwaltung zum Nachteil des Allgemeinwohls eingeschränkt.
Zentrale Aufgaben: Trotz schwieriger Haushaltslage müssen wir in den Kernbereichen die Kommune weiterentwickeln. Stichworte: OGS (baldiger Rechtsanspruch) und Kita Plätze, Brandschutzbedarfsplan (zwei Feuerwehrgerätehäuser), und das Kernthema dieses Jahrzehntes – weil hier jetzt schnell gehen muss: der Klimawandel. Wir können hier auf kommunalem Gebiet regenerative Energien erzeugen.
Bei der Fotovoltaik haben wir eine erste Untersuchung für geeignete Orte vorliegen. Hier müssen wir jetzt Maßnahmen umsetzen. Wir FREIE WÄHLER Alfter wollen zudem Fotovoltaik auch in der Fläche. Dazu muss es jetzt schnell gehen, die planerischen Voraussetzungen für Windkraftanlagen zu schaffen, damit Investoren zeitnah Projekte umsetzen können. Unserem Antrag dazu ist der Haupt- und Finanzausschuss bereits gefolgt. In beiden Bereichen sehen wir mögliche Potentiale für Einnahmen oder Ersparnisse der Gemeinde.
Wir müssen uns aber leider auch schon mit der Schadensbegrenzung beim Klimawandel befassen: Die FREIEN WÄHLER Alfter sehen hier einen Aufgabenschwerpunkt im verbesserten Schutz vor Starkregenereignissen. Der Rat hat die Problemlage ausreichend untersuchen lassen. Jetzt müssen wir hier auch handeln.
Der Haushalt der Kämmerei ist ehrlich! Die Kämmerei hat sich mit den Eckpunkten zum Haushaltssicherungskonzept (HSK) und diesem Haushalt an der Realität und nicht an Wunschvorstellungen orientiert. Die Erfüllung unserer kommunalen Aufgaben kostet tatsächlich so viel. Da unsere Einnahmen nicht reichen, sind wir gesetzlich verpflichtet, sie zu erhöhen. Die Grundsteuer B ist hier der relevanteste Posten. Damit wir unsere Gewerbesteuereinnahmen erhöhen, haben wir den Antrag gestellt, bei der Vermarktung vom Gewerbegebiet Alfter-Nord die Vergabe der Grundstücke so zu priorisieren, dass möglichst hohe Einnahmen erzielt werden können. Diesem Antrag hat der Haupt- und Finanzausschuss bereits zugestimmt. Trotz der schwierigen Situation verzichten Haushaltsentwurf und Eckpunkte des HSK zum größtenteils auf den Verbrauch von Eigenkapital. Wir decken die heutigen Bedarfe mit Mitteln, die wir auch jetzt generieren. Das ist verantwortungsvoll gegenüber den nachfolgenden Generationen.
Ab 2024 rechnen wir im Moment mit einer Verdoppelung der Grundsteuer B auf 1500 Prozent. Ob es uns tatsächlich so hart trifft, hängt auch von der Arbeit der Lenkungsgruppe ab, die auf der Suche nach Einsparpotentialen jeden Stein umdreht. Versprechen können wir nichts, das wäre nicht seriös.
Da die Erhöhung der Grundsteuer B alle gleichermaßen trifft – und damit die unteren Einkommen anteilig mehr – ist es wichtig, dass wir in der Sozialpolitik noch stärker Chancen nutzen, entgegen zu steuern. Die Beitragsfreiheit der unteren Beitragsklasse in der OGS, die wir angeregt hatten, war ein erster guter Schritt.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Situation fordert uns heraus. Lassen Sie uns gemeinsam das Beste daraus machen!
Haushaltsrede der Fraktion FREIE WÄHLER Alfter, gehalten vom Fraktionsvorsitzenden Bolko Graf Schweinitz am 30.3.23. Es gilt das gesprochene Wort.
Hier der Alfterer Haushaltsplan für 2023: https://www.alfter.de/rathaus-politik/haushaltsplan-finanzen/